So wurde gemeinsam geforscht – Methodisches Vorgehen des Projekts
Das Projekt «Was war bekannt?» widmet sich der Frage, was über die (teilweise erzwungene) Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Heimen oder auch Pflegefamilien in Schweizer Tageszeitungen im 20. Jahrhundert berichtet wurde. Daraus lassen sich, so die Grundannahme des Projekts, Erkenntnisse darüber ableiten, was die Bevölkerung über die Gründe und Umstände der Fremdplatzierung sowie die Situation der Fremdplatzierten in der Zeit wissen konnte. Denn die Medien fungierten damals wie heute als eine wichtige Informationsquelle und damit als meist einzige Grundlage für viele Meinungs- und Willensbildungsprozesse.
Um die Frage, was die Bevölkerung über Fremdplatzierung wissen konnte, beantworten zu können, stützte sich das Projektteam methodisch auf inhaltsanalytische Ansätze zur Untersuchung der Medienberichterstattung. Dabei wurde sowohl ein standardisiertes als auch qualitativ-interpretatives Verfahren herangezogen. Der vorliegende Beitrag beschreibt das methodische Vorgehen der standardisierten Analyse der Artikel.
Recherche und Auswahl der Artikel
Im Sommer 2022 begann das Projektteam aus Bürgerforschenden, Studierenden und einem interdisziplinären Forscher:innenteam die Suche nach relevanten Artikeln aus den überregionalen Deutschschweizer Tageszeitungen Neue Zürcher Zeitung (NZZ) und «Der Bund». Auch Schulklassen auf Sekundarstufe II aus Baden, Bern, Laufen und Zürich beteiligten sich an der Recherchearbeit. Analysiert wurde dabei nicht die gesamte Berichterstattung des 20. Jahrhunderts. Stattdessen wurden gezielt Zeiträume ausgewählt, in denen relevante politische, gesellschaftliche oder auch juristische Ereignisse und Entwicklungen stattfanden, die für das Ausmass und die Bewertung von Fremdplatzierungsformen von Relevanz waren (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1: Analysierte Zeiträume
Zeitraum | Ereignisse |
---|---|
1923 bis 1928 (Phase 1) | Unermüdlicher Kritiker – Carl Albert Loosli und die Anderen |
1937 bis 1944 (Phase 2) | Einführung des Schweizerischen Strafgesetzbuchs |
1968 bis 1972 (Phase 3) | Alles kommt in Bewegung – die «Heimkampagnen» |
1974 bis 1981 (Phase 4) | Aufhebung der administrativen Versorgung |
Von Interesse waren Zeitungsberichte aus den Zeiträumen von 1923 bis 1928 (Phase 1), von 1937 bis 1944 (Phase 2), von 1968 bis 1972 (Phase 3) sowie von 1974 bis 1981 (Phase 4).
Im Sommer 2022 recherchierten die Forschenden über drei Monate lang in Bibliotheken (Printausgaben) und online (e-newspaperarchives.ch) nach Zeitungsartikeln, die sich mit Fremdplatzierung befassten. Indikatoren für einen relevanten thematischen Bezug waren beispielsweise Begriffe wie «Zögling», «Jugendliche» oder «Erziehung» in der Artikelüberschrift oder in der Einleitung des Beitrags.
In dieser Phase der Recherche wurden gefundene Artikel jeweils fotografiert respektive abgespeichert und erste Merkmale der Artikel wie zum Beispiel die berichtete Form der Fremdplatzierung, das Thema oder auch die involvierten Akteur:innen in einer programmierten Eingabemaske erfasst.
Zudem wurde notiert, wie das Thema Fremdplatzierung im Artikel bewertet wurde. Das Vorgehen bei der Recherche wurde den Bürgerforschenden im Rahmen einer Schulung vermittelt und gemeinsam an Beispielen erprobt. Für die selbstständige Recherche erhielten sie zudem eine Wegleitung, in welcher die Vorgaben ausführlich ausgeführt waren.
Repräsentativität der gefundenen Artikel
Insgesamt wurden 1205 Beiträge mit einem Bezug zum Thema «Fremdplatzierung» erfasst. Davon wurden 928 in der NZZ veröffentlicht, 277 sind im «Bund» erschienen. Die meisten gefundenen Artikel im Datensatz wurden im Zeitraum von 1923 bis 1928 veröffentlicht. Einschränkend ist dabei jedoch darauf hinzuweisen, dass es sich bei den Artikeln mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht um die gesamte Berichterstattung zum Thema Fremdplatzierung handelt. Trotz der Bemühungen der Projektleitung, die Zeiträume möglichst lückenlos erfassen zu lassen, war dies nicht immer möglich. Daher sind die gefundenen Artikel mit Blick auf die untersuchten Medien und Zeiträume verzerrt: Wir können nicht sagen, dass tatsächlich die NZZ deutlich mehr über das Thema Fremdplatzierung berichtet hat als «Der Bund». Das gewählte Rechercheverfahren erlaubt uns auch nicht darauf zu schliessen, dass sich die Medien dem Thema vor allem in den 20er-Jahren des 20. Jahrhundert angenommen haben. Die Daten sind daher nicht repräsentativ, aber dennoch aussagekräftig. Sie geben uns erste quantifizierende Hinweise auf Themen, Akteur:innen und Tonalitäten der journalistischen Berichterstattung. Die Ergebnisse der Analyse sind nachzulesen im Beitrag «Das Thema Fremdplatzierung in den Medien. Ein erster Überblick in Zahlen».
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