Historische Einführung zum Thema «Fremdplatzierung»
Fremdplatziert
Seit jeher wachsen nicht alle Kinder bei ihren leiblichen Eltern auf. Die Gründe dafür sind vielfältig. Wenn Eltern nicht für ihre Kinder sorgen konnten, übernahm das Gemeinwesen diese Aufgabe. Lange Zeit waren es vor allem die Kirchen, die sich darum kümmerten. Seit dem späten 18. Jahrhundert wurde diese Aufgabe in der Schweiz zunehmend den Heimatgemeinden und später den Wohnortgemeinden übertragen.
Der Begriff Fremdplatzierung bezeichnet das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen fern von ihren leiblichen Eltern in Heimen oder bei Pflegefamilien . Es gab verschiedene Begriffe für fremdplatzierte Kinder, die sich regional unterschieden oder sich im Laufe der Zeit veränderten. Die Begriffe «Verdingkinder», «Kostkinder», «Güterkinder» und «Amtskinder» beziehen sich auf die Unterbringung von oft noch schulpflichtigen Minderjährigen in Familien, meist auf Bauernhöfen, wo sie für ihre Unterbringung arbeiten mussten .
Im 19. Jahrhundert wurden Familienauflösungen und Fremdplatzierungen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen von den zuständigen Autoritäten als Teil der Armenunterstützung angesehen. Es wurde zwischen Personen unterschieden, die aus eigener Schuld oder unverschuldet in Not geraten waren. Die Unterstützungen fielen unterschiedlich aus. Oftmals schwang dabei eine moralisierende Note mit.
Die zuständigen kommunalen Behörden konnten Aufgaben, wie die Platzierung von Kindern, die Leitung von Heimen oder die Aufsicht, an private und kirchliche Organisationen delegieren. Viele nahmen diese Möglichkeit wahr und sparten damit viel Geld. Dies verhinderte auch lange eine effektive Kontrolle und Aufsicht von Pflegeplätzen und Heimen. Gesamtschweizerisch wurde eine Bewilligungs- und Kontrollpflicht aller Pflegeverhältnisse 1978 eingeführt.
Bis zum Zweiten Weltkrieg lebten viele Menschen in der Schweiz in prekären finanziellen Verhältnissen. Vor der Einführung einer national geregelten sozialen Absicherung (z.B. AHV 1948, IV 1960, ALV 1984) führte eine Krankheit, ein Unfall oder der Tod eines Elternteils schnell zur Armut.
Nach dem Zweiten Weltkrieg machten sich gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen auch in der Fremdplatzierung bemerkbar. Immer weniger Kinder wurden fremdplatziert, die eigene Arbeitsleistung und das Ziel, die Kinder und Jugendlichen durch Arbeit zur Arbeit zu erziehen, traten allmählich in den Hintergrund.
Bekämpfung der Armut und gegen die «Verwahrlosung» der Jugend
Armut wurde bis weit ins 20. Jahrhundert hinein als Bedrohung für die herrschenden Machtverhältnisse und eine «bürgerliche» und moralisch angepasste Lebensweise angesehen. Es galt, dieser Gefahr unterstützend, aber auch sanktionierend zu begegnen. Die Sozialpolitik bewegte sich damit immer im Spannungsfeld zwischen Fürsorge und Zwang.
Fremdplatzierungen wurden vorgenommen, um Armut zu bekämpfen und der befürchteten Destabilisierung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Gesetze erlassen, die ein präventives Eingreifen in Familien ermöglichten. Das Ziel war, der drohenden «Verwahrlosung» der Jugend entgegenzuwirken.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Kinder aufgrund eugenischer Argumente von ihren Eltern getrennt und fremdplatziert. So nahm das «Hilfswerk der Kinder der Landstrasse» von Pro Juventute mehrere Hundert Kinder ihren Eltern weg mit dem Ziel, die jenische Lebensweise auszulöschen. Die Begründung war, dass sie vor negativen Einflüssen und erblich bedingten Lebensweisen geschützt werden sollten. Psychiatrische und heilpädagogische Gutachten spielten dabei eine wichtige Rolle und wurden immer bedeutender für die Entscheidungen zur Fremdplatzierung.
Die Forschung geht davon aus, dass im 19. und im 20. Jahrhundert mehrere Hunderttausend Kinder und Jugendliche von einer Fremdplatzierung betroffen waren. Es gibt keine genaue Zahl, da die Quellen ungenaue Angaben machen und keine zentralen Verzeichnisse existieren.
Wer war betroffen?
Die Gründe für eine Fremdplatzierung waren vielfältig. Kinder wurden fremdplatziert, wenn sie einen oder beide Elternteile verloren hatten, wenn diese getrennt lebten oder tagsüber arbeiten mussten. Die meisten fremdplatzierten Kinder stammten aus armen Familien. Besonders gefährdet waren Kinder nicht verheirateter Eltern sowie Kinder von sozialen Minderheiten wie beispielsweise Jenische. Fremdplatziert wurden nicht nur schweizerische, sondern auch ausländische Kinder .
Familienergänzende Betreuungsangebote wurden erst im späten 20. Jahrhundert in grösserem Mass geschaffen. Deshalb wurden auch Kinder fremdplatziert, deren Eltern tagsüber arbeiteten und die für diese Zeit nicht auf familiäre Betreuung zurückgreifen konnten. Behörden griffen auch ein, wenn Kinder zu Hause misshandelt oder vernachlässigt wurden. Eltern platzierten ihre Kinder manchmal selbst, um nicht ins Visier der Behörden zu geraten. Fremdplatzierungen auf Anordnung der Behörden waren oft nicht freiwillig.
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts nahm die Zahl der Kinder, die einen oder beide Elternteile verloren hatten, ab. Gleichzeitig stieg die Zahl der Kinder, deren Eltern sich scheiden liessen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gerieten verstärkt Jugendliche ins Visier der Behörden, die neue und freiere Lebensentwürfe ausprobierten.
Welche Formen der Fremdplatzierung gab es?
Bereits seit dem Mittelalter gab es «Findelhäuser» in Städten, und in Spitälern wurden neben Kindern auch Erwachsene, Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen und mitunter Strafgefangene untergebracht. Im 18. Jahrhundert wurden vermehrt Waisenhäuser und «Rettungsanstalten» gegründet. In der Schweiz gab es mehrere Hundert Heime und «Anstalten», in die Minderjährige eingewiesen wurden. Die stationäre Unterbringung spezialisierte sich zunehmend. Dies spiegelte sich auch in den unterschiedlichen Namensgebungen wider, wie zum Beispiel «Erziehungsanstalt», «Beobachtungsstation», «Kinderheim» oder «Heim für Schwererziehbare» . Minderjährige wurden oft in psychiatrische Einrichtungen oder Gefängnisse für Erwachsene eingewiesen, wenn kein Platz in geeigneten Einrichtungen zur Verfügung stand.
Erziehung zu arbeitsamen und gottesfürchtigen Menschen
Die Erziehung zur Arbeit durch Arbeit war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ein zentrales Element bei Fremdplatzierungen. Kinder und Jugendliche sollten lernen, zu arbeiten, um später für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen zu können. Ein sozialer Aufstieg war dabei nicht vorgesehen. Fremdplatzierte Kinder und Jugendliche hatten weniger gute Ausbildungsmöglichkeiten als ihre Altersgenossen, die zu Hause aufwuchsen.
Die Erziehung zu einem arbeitsamen Leben und zu gottesfürchtigen Menschen stand im Zentrum. Dabei wurde lange darauf geachtet, ein Kind in der «richtigen» Konfession zu erziehen. Zahlreiche private und religiös motivierte Organisationen und Heime wurden mit dem Ziel der Unterstützung von Bedürftigen gegründet und entsprechend geführt. Seit den 1960er-Jahren fand eine allmähliche Säkularisierung statt. Ordensleute zogen sich vermehrt aus dem Heimbetrieb zurück und die Ausbildung von Fachleuten im Sozialwesen stützte sich stärker auf wissenschaftliche Methoden.
Fremdplatzierungen von Kindern und Jugendlichen waren geleitet von einem bürgerlichen Wertesystem. Normen wie Ordnung, Arbeitsamkeit und Sesshaftigkeit sowie Mässigung und Eigenverantwortung waren wichtige Prinzipien einer bürgerlichen Lebensweise. Emotionalen Werten wie Liebe, Hingabe und Freundschaft wurde ebenfalls Bedeutung beigemessen. Das bürgerliche Modell zementierte jedoch gleichzeitig die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und eine klare Rollenzuschreibung: Es sah eine stark moralisierende weibliche Rolle als Hausfrau und Mutter, die in der Sexualität auf die Ehe beschränkt war, sowie eine männliche Rolle als Alleinverdiener vor. Eine solche Auslegung ignorierte jedoch die wirtschaftliche Realität vieler von Armut betroffener Menschen, die niemals dem bürgerlichen Lebens- und Rollenverständnis entsprechen konnten. Das bürgerliche Geschlechtermodell war oft ausschlaggebend für Entscheidungen zur Fremdplatzierung sowie für die Arbeit und die Ausbildung von fremdplatzierten Kindern und Jugendlichen. Es hatte bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein eine grosse Wirkung .
Welche Gesetze gab es?
Die Fremdplatzierungen von Kindern und Jugendlichen waren Teil einer schweizerischen Sozialpolitik und -praxis, die sich zwischen den Polen Fürsorge und Zwang bewegte. Behördliche Massnahmen, die zur Erreichung eines wertekonformen Lebens angewandt wurden, werden unter dem sperrigen Begriff der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen zusammengefasst. Dazu gehören die Fremdplatzierung von Kindern und Jugendlichen in Heimen und bei Pflegefamilien sowie die administrative Versorgung von Jugendlichen und Erwachsenen, also die Internierung in Einrichtungen durch Administrativbehörden. Auch der Zwang zu Abtreibungen, Adoptionen oder Sterilisationen und Kastrationen sowie unfreiwillige Medikamentenversuche zählen dazu.
Den zuständigen Behörden standen dafür unterschiedliche Gesetzgebungen zur Verfügung. Diese spiegeln auch die ausgeprägten föderalistischen Strukturen der Schweiz wider. Neben den kantonalen Armengesetzen aus dem 19. Jahrhundert regelten sogenannte Versorgungsgesetze die administrative Versorgung auf kantonaler Ebene. Das Schweizerische Zivilgesetzbuch (1912) und das Strafgesetzbuch (1942) gaben den zuständigen Behörden zusätzlich Bundesgesetze an die Hand, auf deren Basis weitere Massnahmen ausgesprochen werden konnten. Es war schwierig, einen Entscheid erfolgreich anzufechten. Die Platzierungen und Versorgungen dauerten mehrere Monate oder sogar Jahre .
Wer war zuständig?
Die Armen- und Vormundschaftsbehörden der Heimatgemeinden waren für die Umsetzung verantwortlich. Sie zahlten grösstenteils auch für die ergriffenen Massnahmen. Mit der zunehmenden Mobilität der Bevölkerung übernahmen in den einzelnen Kantonen schrittweise die Wohnortgemeinden diese Aufgaben. 1978 wurde bei der Finanzierung das Wohnortprinzip in der gesamten Schweiz festgelegt. Die entstandenen Kosten einer Fremdplatzierung konnten im Sinne des Subsidiaritätsprinzips von den Eltern, teilweise auch von den Kindern und Jugendlichen selbst zurückgefordert werden. Um die Ausgaben niedrig zu halten, wurde oft nach kostengünstigen Lösungen gesucht . Dies erhöhte die Gefahr, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen ausgebeutet wurden .
Die zuständigen Gemeinden als staatliche Akteurinnen konnten einzelne Aufgaben an private Organisationen delegieren. Diese Möglichkeit wurde rege genutzt. Private und religiös motivierte Vereine übernahmen die Platzierung von Kindern und Jugendlichen, Aufsichtsfunktionen und Vormundschaften, vermittelten Adoptionen und betrieben Heime. Man kann von einem dualen System der Fürsorge in der Schweiz sprechen, das dem Allgemeinwesen viel Geld und Ressourcen sparte. Gleichzeitig war dies ein Grund, weshalb Aufsicht und Kontrolle der Pflege- und Heimplätze lange ungenügend waren.
Die ungenügende Aufsicht öffnete Tür und Tor für Stigmatisierung, Isolation, Gewalt und Missbrauch. Das hohe Traumatisierungspotenzial und die Langzeitwirkungen für die Betroffenen sind mittlerweile mehrfach belegt.
Stigmatisierende Sprache und die Macht der Akten
Fremdplatzierte Kinder wurden auf unterschiedliche Weise abgewertet. Stigmatisierende Sprache und abwertende Zuschreibungen waren in allen Bereichen des Lebens präsent: in Heimen, Pflegefamilien, Schulen und im Dorf .
Die Akten über die betroffenen Kinder und Jugendlichen enthalten oft negative Zuschreibungen und förderten dadurch zusätzlich die Stigmatisierung. Diese Zuschreibungen stammten von Beamten, Geistlichen, Fürsorgerinnen, Vormunden, Psychiatern und Mitarbeitenden kirchlicher und privater Organisationen. Abwertende und stigmatisierende Zuschreibungen hatten grosses Gewicht, von dem die Betroffenen meist nichts wussten. Die sogenannten Aktenbiografien zeigen die Sichtweise der damaligen Autoritäten auf die Kinder. Oftmals haben sie wenig mit den eigenen Erfahrungen der Kinder zu tun.
Die Einsicht in die eigenen Akten kann schwierig sein. Es besteht die Gefahr, erneut traumatisiert zu werden. Wenn die Akten noch vorhanden sind, finden sich darin nicht immer die erhofften Antworten auf biografische Lücken. Mitunter fördern sie Informationen zutage, die vorher nicht bekannt waren, wie etwa bis dahin unbekannte Geschwister.
Kritik – lange ungehört
Die Gesetzgebung und die Praxis wurden von einer breiten gesellschaftlichen Basis getragen. Abstimmungen zu einzelnen Gesetzen erhielten regelmässig Mehrheiten von denjenigen, die politisches Mitspracherecht hatten. Bis 1971 hatten Frauen auf Bundesebene kein politisches Mitspracherecht, und wer auf staatliche Unterstützung angewiesen war, konnte sein Stimm- und Wahlrecht verlieren.
Gleichwohl haben Menschen immer wieder Kritik an der Fremdplatzierungspraxis geäussert. Jeremias Gotthelf kritisierte im 19. Jahrhundert die sogenannten Mindersteigerungen, ein System zur Verteilung von Kindern an den Mindestbietenden. Carl Albert Loosli schrieb in den 1930er-Jahren gegen die «Administrativjustiz» an. In den 1940er-Jahren wurden durch Sozialreportagen von Peter Surava und Fotografien von Paul Senn Missstände in Heimen aufgedeckt. In den 1950er-Jahren erregte die Zürcher Ärztin Marie Maierhofer Aufsehen mit kritischen Filmaufnahmen aus Säuglingsheimen. Obwohl Misshandlungs- und Todesfälle vereinzelt mediale Aufmerksamkeit erlangten, reichte die Medienberichterstattung noch nicht für eine anhaltende Welle der Kritik aus.
Gesellschaftliche Veränderungen beeinflussen Fremdplatzierungen
Seit den 1940er-Jahren traten zunehmend Risse auf, die auf eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft hindeuteten. Neue Arbeitsweisen und Methoden in der sozialen Arbeit und im Massnahmenvollzug wurden auf fachlicher Ebene eingeführt. Auf- und Ausbau der Sozialversicherungen wie der AHV und der IV sicherten die grossen Armutsrisiken gesamtschweizerisch ab. Kantonale Armengesetze aus dem 19. Jahrhundert wurden revidiert und an die neuen Rahmenbedingungen angepasst. Die Sozialhilfe war nicht mehr die einzige Form der materiellen Armutsbekämpfung.
Ein enormer Wirtschaftsaufschwung und ein Innovationsschub haben die Wirtschaft und die finanziellen Möglichkeiten der Schweizer Bevölkerung nachhaltig verändert. Die Mechanisierung der Landwirtschaft hat dazu geführt, dass in diesem Wirtschaftszweig weniger Arbeitskräfte benötigt werden. Dadurch ist die Anzahl der Fremdplatzierungen auf Bauernhöfen rasch zurückgegangen.
Das geltende hierarchisch ausgerichtete bürgerliche Gesellschaftsmodell wurde zunehmend hinterfragt und freiere Lebensentwürfe erprobt. Zwar führten Abwehrreflexe kurzfristig dazu, dass der Anteil Minderjähriger bei administrativen Versorgungen seit den 1950er-Jahren anstieg. Die Kritik an verschiedenen Formen der Fremdplatzierung wurde aber lauter und hörbar.
In den 1970er-Jahren wurde dieser gesellschaftliche Veränderungsprozess medial sichtbar. Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte Heimkampagne, die Missstände in «Erziehungsheimen» ins Visier nahm .
Die politische Integration bisher ausgeschlossener Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel Frauen, sowie die konsequentere Gewährung von Grund- und Menschenrechten haben zu einer verstärkten Demokratisierung in der Schweiz geführt. In den 1970er-Jahren wurden verschiedene Gesetzesrevisionen durchgeführt, die die Position von Kindern und Frauen, insbesondere im Familienrecht, gestärkt haben. Im Jahr 1978 trat die erste gesamtschweizerische Verordnung zur Regelung von Aufsicht und Bewilligung von Pflegeverhältnissen (PAVO) in Kraft.
Die von der Schweiz 1974 ratifizierte Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) führte zur Aufhebung der kantonalen Versorgungsgesetze und damit auch der administrativen Versorgung. Heute können immer noch administrative Massnahmen wie die Fürsorgerische Unterbringung (FU) ausgesprochen werden, jedoch müssen diese seit 1981 den rechtsstaatlichen Ansprüchen der Schweiz genügen.
Gesellschaftspolitische Aufarbeitung – ein langer Weg
1972 veröffentlichte die Zeitschrift «Beobachter» eine Artikelserie über das «Hilfswerk der Kinder der Landstrasse» von Pro Juventute . Die Serie prangerte die Wegnahme von über 600 Kindern von jenischen Eltern aus eugenischen und rassistischen Gründen an. Daraufhin hat der Bund dies untersuchen lassen.
Es dauerte jedoch bis in die frühen 2000er-Jahre, bis auch andere Betroffenengruppen in die gesellschaftspolitische Aufarbeitung einbezogen wurden. Mittlerweile wurden zahlreiche Studien zu verschiedenen Aspekten von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen durchgeführt. Das Thema wurde von den Medien aufgegriffen und ist in Filmen, Ausstellungen, an Gedenkorten und in Schulmaterialien zugänglich gemacht worden.
Einige Projekte haben einen partizipativen Ansatz gewählt. Ein Beispiel dafür ist das Citizen-Science-Projekt «Was war bekannt?». In diesem Projekt gingen Bürgerforscher:innen der Frage nach, was die Schweizer Presse im 20. Jahrhundert über das Thema «Fremdplatzierung» berichtet hat. Sie recherchierten und analysierten Zeitungsartikel und schenkten dabei nicht nur den gedruckten Texten, sondern auch den Abbildungen Beachtung.
Schweizerisches Zivilgesetzbuch (ZGB) tritt in Kraft, inkl. Kinderschutzartikel 283–285
Das Passagierschiff Titanic sinkt nach einer Kollision mit einem Eisberg
Erste Fliessbandmontage von Automobilen (Ford, USA)
Ende des Ersten Weltkrieges
Erste öffentliche Vorführung eines Tonfilms (Schweden)
Carl Albert Looslis Werk "Anstaltsleben. Betrachtungen und Gedanken eines ehemaligen Anstaltszöglings" erscheint, weitere folgen
Zürcher Versorgungsgesetz wird angenommen, mit dem Kinder ab 12 Jahren administrativ versorgt werden können
"Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse" der Pro Juventute entsteht
Deutschland marschiert in Polen ein: Beginn des Ersten Weltkrieges
Schweizerisches Strafgesetzbuch tritt in Kraft, das u.a. administrative Massnahmen für Jugendliche beinhaltet
Peter Surava und Paul Senn veröffentlichen ihre Sozialreportage zum Knabenheim Sonnenberg (LU), das daraufhin geschlossen wird ("Sonnenbergskandal")
Misshandlungen von Ernst Eberhard («Chrigel») vor Gericht
Ende des Zweiten Weltkrieges
Einführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV)
Einführung der Invalidenversicherung (IV)
Erster Nummer 1 Hit der Beatles in Grossbritannien
"Globuskrawall" in Zürich
Erste Mondlandung
"Heimkampagne" in der Schweiz
Frauen erhalten auf Bundesebene das Stimm- und Wahlrecht, sie werden politisch mündig
Erste E-Mail wird versandt (Cambridge, USA)
"Beobachter" (Hans Caprez) veröffentlicht Artikelserie zum "Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse", Ende der Aktion
Die Schweiz ratifiziert die Europäische Menschenrechtskonvention mit drei Vorbehalten
Neues Familienrecht verbessert die Situation von Frauen und Kindern und stellt Kinder unverheirateter und verheirateter Eltern gleich
Neues Familienrecht verbessert die Situation von Frauen und Kindern und stellt Kinder unverheirateter und verheirateter Eltern gleich
Neu gilt in der gesamten Schweiz das Wohnortprinzip, was die Finanzierung im Fürsorgewesen vereinfacht
Einführung einer gesamtschweizerischen Bewilligungs- und Aufsichtspflicht für Pflegeplätze (PAVO)
Die Kantonalen Versorgunggesetze werden aufgehoben und administrative Einweisungen im ZGB geregelt (FFE)
Der erste Macintosh Desktop-Computer wird ausgeliefert
Fall der Berliner Mauer und Grenzöffnung zur Deutschen Demokratischen Republik (DDR)
Die Schweiz ratifiziert die UNO-Kinderrechtskonvention
Weiterführende Literatur
Barras, Vincent, Alexandra Jungo und Fritz Sager (Hg.):
Diffuse Verantwortlichkeiten
Strukturen, Akteur:innen und Bewährungsproben.Ergebnisse Nationales Forschungsprogramm: Fürsorge und Zwang. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft, Bd. 2, Basel 2024.
Businger, Susanne und Nadja Ramsauer: «Genügend goldene Freiheit gehabt». Heimplatzierungen von Kindern und Jugendlichen im Kanton Zürich, 1950–1990, Zürich 2019.
Häfeli, Christoph, Martin Lengwiler und Margot Vogel Campanello (Hg.): Zwischen Schutz und Zwang – Normen und Praktiken im Wandel der Zeit . Ergebnisse Nationales Forschungsprogramm: Fürsorge und Zwang. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft, Bd. 1, Basel 2024.
Hauss, Gisela, Thomas Gabriel und Martin Lengwiler (Hg.): Fremdplatziert. Heimerziehung in der Schweiz, 1940–1990, Zürich 2018.
Knüsel, René, Alexander Grob und Véronique Mottier (Hg.): Schicksale der Fremdplatzierung – Behördenentscheidungen und Auswirkungen auf den Lebenslauf . Ergebnisse Nationales Forschungsprogramm: Fürsorge und Zwang. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft, Bd. 3, Basel 2024.
Leuenberger, Marco und Loretta Seglias: Geprägt fürs Leben. Lebenswelten fremdplatzierter Kinder in der Schweiz im 20. Jahrhundert. Zürich: Chronos 2015.
Leuenberger, Marco und Loretta Seglias: Versorgt und vergessen. Ehemalige Verdingkinder erzählen. Zürich: Rotpunktverlag 2010.
Unabhängige Expertenkommission (UEK) Administrative Versorgungen (Hg.): 10-bändige Reihe der Resultate der UEK. Zürich: Chronos 2019.
Multimediale Onlineplattform «Gesichter der Erinnerung», www.gesichter-der-erinnerung.ch .
Onlineplattform «Berner Zeichen der Erinnerung»: https://www.zeichen-der-erinnerung-bern.ch .
Link zu diesem Artikel: Deep-Link wird hier generiert