In dem von der Partizipativen Wissenschaftsakademie geförderten Projekt «Was war bekannt?» möchten wir gemeinsam mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern herausfinden, was die Presse im 20. Jahrhundert über die Lebensbedingungen von Heim- und Verdingkindern berichtet hat.
Denn obwohl gerade auch im Zuge der sogenannten Wiedergutmachungsinitiative eine kulturelle Aufarbeitung der Thematik stattgefunden hat, sind bis heute in der Wissenschaft zentrale Fragen unbeantwortet geblieben: Was konnte die Schweizer Bevölkerung aus den Medien über die Schicksale der fremdplatzierten Minderjährigen erfahren? Inwiefern ist das Thema tatsächlich – wie vielfach angenommen – tabuisiert worden?
Spurensuche
Da viele der Heime und landwirtschaftlichen Betriebe fernab der Grossstädte in ländlichen Regionen angesiedelt waren, befanden sich die dort platzierten Kinder ausserhalb der öffentlichen Wahrnehmung. Neben der geografischen Distanz ist lange Zeit aber auch die soziale Herkunft der Zöglinge ein wesentlicher Grund dafür gewesen, dass sich der Journalismus nur sporadisch für Fremdplatzierungsthematiken interessiert hat.
Wie ein Blick in die Schweizer Geschichte zeigt, gab es allerdings abseits der grossen Debatten immer wieder vereinzelt engagierte Bürger und Bürgerinnen, die sich gegen sozialpolitische Missstände aufgelehnt haben. Ein Gedächtnisort, an dem dieser solidarische Einsatz besonders greifbar wird, ist die im Emmental gelegene Erziehungsanstalt Trachselwald.
Die engagierten Bürger Gotthelf und Loosli
Besonders an diesem Ort ist weniger seine pittoreske Lage auf dem Gelände der Schlossdomäne Trachselwald als vielmehr der Umstand, dass sich hier durch einen historischen Zufall auf markante Weise die Lebenslinien der beiden Schriftsteller Albert Bitzius (alias Jeremias Gotthelf) und Carl Albert Loosli überschneiden.
Während der Geistliche Bitzius (Bild links) in seinem Roman Bauernspiegel vehement Kritik am Verdingwesen äussert und mit der Gründung der Erziehungsanstalt eine zeitgemässe Alternative zum Brauch der Unterbringung von Minderjährigen auf Bauernhöfen schaffen will, wird der junge Carl Albert Loosli (Bild rechts) Jahrzehnte später als Zögling in eben diese von Bitzius mitbegründete Erziehungsanstalt zwangseingewiesen – und verarbeitet seine traumatischen Heimerfahrungen nach seiner Entlassung in einem vielbeachteten Essay.
Frühes Medienecho
Zu dem Zeitpunkt, als Looslis Anstaltsleben erscheint, beginnt sich das Debattenklima allmählich zu verändern. Zwar beklagt sich der Autor zunächst zu recht über die Ignoranz der Zeitungsredaktionen gegenüber den offensichtlichen Problemen im Heimwesen. Er kann allerdings auch schon feststellen, dass seine Berichte in den 1920er Jahren auf kantonaler und städtischer Ebene heftige Debatten auslösen.
Das Medienecho, das Loosli mit seinem heute kaum mehr bekannten Essay auslöst, beginnt er deshalb in einem zweiten Buch zu dokumentieren. Neben den Zuschriften von ehemaligen Zöglingen, die ihn in seiner Kritik bestärken, kann er in seiner Publikation auf verschiedene Zeitungsartikel über die Zustände im Heimwesen verweisen. Der Anfang für eine öffentliche Debatte war damit gemacht. Wir möchten nun erforschen, wie sich die Presseberichterstattung zum Thema Fremdplatzierung nach diesen frühen Interventionen entwickelt hat.